Das Biikebrennen
Der 21. Februar gilt im hohen Norden Deutschlands als ein ganz besonderes Datum. Dann nämlich feiern die Friesen ihr Nationalfest, das sogenannte Biikebrennen. Weithin leuchtet in der Abenddämmerung der Feuerschein der großen Holzstapel, die auf den nordfriesischen Inseln und dem nahen Festland allerorten entzündet werden. Auch in den Sylter Dörfern wird diese alte Tradition sorgsam gehegt und gepflegt. Die Biiken, die den auswärtigen Besucher an die Osterfeuer erinnern werden, sind ein Stück lebendiges Brauchtum, dessen Bedeutung sich im Laufe der Jahrhunderte allerdings mehrmals gewandelt hat.
Die Ursprünge des Biikebrennens liegen in grauer Vorzeit. Als heidnische Opferrituale sollten die zehrenden Flammen die Götter gnädig stimmen, zugleich symbolisierten die Feuer den Glauben an die Naturkräfte. In späterer Zeit standen die Biiken für die Vertreibung des Winters und dienten zeitweilig auch als Warnsignal, wenn etwa Piraten vor der Küste aufkreuzten. Als sich im 17. und 18. Jahrhundert zahlreiche Sylter als Seefahrer verdingten, wurden sie von ihren Angehörigen mit den weithin leuchtenden Feuern verabschiedet; einige der Männer nutzten die Biiken auch als Treffpunkt, um sich für einen der nächsten Tage für die gemeinsame Abreise nach Hamburg oder Holland zu verabreden, wo sie auf Walfangschiffen anheuerten. Im 19. Jahrhundert wandelte sich die Bedeutung der Biiken dahingehend, dass sie das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken sollten. Den typischen Wortlaut dafür vermittelt eine Ansprache an der Keitumer Biike zu Beginn unseres Jahrhunderts: »Wir kommen zusammen zum heimischen Thing, wohlan denn, Ihr Männer, so schließet den Ring. Und weit sei das Herz, das Auge sei klar, und rein sei die Hand, der Mund sei wahr. Verwahrt Euch der Väter trotzige Kraft, den starken Geist, der das Gute nur schafft. Hier tagten die Friesen vor tausend Jahren, für Freiheit wagten sie Leben und Gut, und hier entfachten die Scharen des Opferbrandes geheiligte Glut.«
Auch heute noch scharen sich die Sylter am 21. Februar einmütig um ihre Biiken, doch hat sich manches geändert. Nährten früher Stroh und Dünenhalme die Flammen, so werden inzwischen vornehmlich ausgediente Weihnachtsbäume aufgeschichtet. Zudem lassen sich heute viele Urlauber das feurige Schauspiel nicht entgehen und reihen sich in die Umzüge ein, die durch die Dörfer zu den Biikeplätzen marschieren. Recht jung ist auch die Tradition des Biike-Essens: Kaum eine Sylter Küche oder ein Sylter Restaurant, in denen am Abend nicht Grünkohl mit Kasseler, Kochwurst und Bratkartoffeln aufgetischt wird. Dabei ist diese Sitte einem reinen Zufall zu verdanken: Im Jahre 1909 saßen nach dem Biikebrennen einige Honoratioren in einem Keitumer Gasthaus bei einem guten Tropfen beisammen, als einen von ihnen der Hunger befiel. Der Wirt konnte indes nur mit dem Rest des Mittagessens dienen, und das war zufällig Grünkohl. Den Herren schmeckte es so gut, dass sie sich fortan nach der Biike immer Grünkohl auftischen ließen – was bald immer mehr Nachahmer fand.
Dem Biikebrennen folgt der Petritag. Früher beschlossen der Landrat und die Ratsmänner an diesem Tag Gesetze und Erlässe, heute gehört der 22. Februar der Sylter Jugend. In allen Orten findet Kindertanz statt, und dafür gibt’s für den Nachwuchs sogar extra schulfrei.
Söl’ring Foriining
Auf ihre Heimatgeschichte sind sie stolz, die Menschen in den Sylter Ostdörfern, wo Tradition noch etwas gilt und entsprechend gepflegt wird. Eine Institution hat sich um die Pflege des Brauchtums in besonderer Weise verdient gemacht: die »Söl’ring Foriining« (Sylter Verein) mit Sitz in Keitum. Der Verein betreibt unter anderem die beiden Keitumer Museen, lädt zu friesischen Abenden ein und veranstaltet die äußerst publikumswirksamen Tanzvorführungen der Trachtengruppe. Diese rotweißen Trachten sind den Sylter Festtagskleidern des 18. Jahrhunderts original nachgeschneidert.
Die »Söl’ring Foriining« setzt sich auch mit Nachdruck für die Erhaltung der Sylter Sprache, des Söl’ring, ein: So ist in den Grundschulen der Gemeinde Sylt-Ost Friesisch-Unterricht ein fester Bestandteil des Lehrplans geworden. Dennoch: Die kleine Regionalsprache ist vom Aussterben bedroht. Sprachen im Jahre 1889 etwa 70 Prozent aller Sylter »Söl’ring«, waren es 1927 noch 34 Prozent und 1966 gerade sieben Prozent. Man schätzt, dass heute höchstens noch vier Prozent der Sylter Bevölkerung ihrer Heimatsprache mächtig sind.